Candy und Michel, Michel und Candy - ein unzertrennliches und in der ganzen deutschen Bullterrierszene bekanntes Paar. Wie kam es zu Candy, wer war dieser Hund, wie kam Michel Bertram zu diesem Hund?
Candy stammte aus dem Zwinger vom Igelberg von Gerd Lehmann. Lehmann hatte zunächst in seinem A-Wurf eine nicht sehr schöne und oft auch mit Hautproblemen laborierende weiße Hündin aus der Zucht von Frau Mahret von seinem sehr schönen und auch sehr harten und aggressiven Rüden Fello vom Haus Astoria decken lassen, was seine späteren und auch jetzigen Stammhunde Aika, Alexa und Andy ergab, alles Hunde, die später Ausbildungskennzeichen erreichten. Der B-Wurf war eine Wiederholung des A-Wurfes, erbrachte jedoch keine Hunde, die sich einen Namen machten
Vor dem C-Wurf stand Lehmann vor der Frage, ob er noch einmal eine Wurfwiederholung machen sollte, oder ob er diesmal einen neuen Rüden verwenden sollte. Ich selber war damals bereits mit einigen Bullterriern auf dem Leistungssektor erfolgreich gewesen und besaß seit kurzem den großen roten Nachwuchsrüden Uri Alemannentrutz, dem man zwar einen enormen Vorbiß, aber sonst außer ausdrehenden Schultern keine körperlichen Mängel nachsagen konnte, von Wesens- oder Charaktermängeln ganz zu schweigen. Uri war damals im jugendlichen Alter bereits ein imposanter Rüde, sehr offen im Wesen, mittlere Reizschwelle, sehr hart, wenn er gefordert wurde, wenn ich auch heute sagen muß, daß er sich erst mit ca. 3 Jahren richtig entwickelt hatte. Ich versuchte damals, alles zu tun, um die Gebrauchshundezucht weiterzubringen und die wenigen, die sich der Arbeit mit dem Bullterrier verschrieben hatten, zu einigen und sie zu gemeinsamer Arbeit anzuspornen.
Als Lehmann sich mit dem Gedanken trug, Uri für seine Mahret-Hündin "Fontaine Ordensjäger" zu verwenden, kam ich ihm buchstäblich weitestgehend entgegen: ich fuhr mit dem Rüden zu ihm, und zwar mehrmals und verlangte lediglich DM 300,- Decktaxe. Den Rüden zur Hündin zu bringen halte ich ohnedies für die bessere Methode als das umgekehrte Verfahren, das man gewöhnlich sieht. Ich wünschte mir manchmal von den Besitzern heutiger Nachwuchsrüden, die ebenfalls in's Deckgeschäft kommen wollen, sie würden nicht auf gar so hohem Roß sitzen - Decktaxen wie von einem bewährten Zuchtrüden und selbstverständlich die Anreise der Hündin, und sei es in den entlegensten Winkel Deutschlands, scheinen gang und gäbe zu sein.
Kurzum, Fontaine warf nach Uri acht Welpen, davon vier Rüden und vier Hündinnen. Candy bekam die Zuchtbuchnummer 6343. Familie Bertram kannte Gerd Lehmann schon vorher, und als sie kamen, um sich einen Rüden auszusuchen, dachten sie weder an späteren Leistungssport, hatten auch nicht vorher lange an anderer Stelle gesucht, sondern kamen ohne jede Vorbereitung und - nahmen sogar den Kleinsten, weil er doch gar so zart und hilflos war, wie Rosis (Frau Bertrams) Muttergefühle sofort entdeckt hatten. Candy wuchs in der Familie auf, hatte also eine sehr gute Prägung, wenigstens seit er bei Michel Bertram war. Ganz zufrieden war der allerdings am Anfang nicht; der Kleine zeigte sich nicht immer sehr firm, besonders im Stadtverkehr. Wir wissen heute längst, warum das so ist. Lehmanns erlauben ihren Würfen relativ wenig Kontakt mit anderen Hunden und Menschen, geschweige denn mit Geräuschen. Die Würfe werden - unter besten hygienischen und Futterbedingungen - im Keller relativ isoliert aufgezogen, so daß Beobachtungen wie bei dem kleinen Candy auch bei anderen Hunden desselben Zwingers gemacht wurden. Wir haben oft mit Gerd Lehmann über diese Fakten gesprochen. Er habe Angst, es würden Krankheiten eingeschleppt, oder die Hündinnen würden sich zu sehr aufregen, sagte er. Ein bißchen hatte ich den Eindruck, als wenn zumindest im Unterbewußtsein die Vorstellung von der Rehmutter, die ihr Kitz nach Berührung von fremder, menschlicher Hand nicht mehr annähme, hier eine Rolle spielte. Und wenn unser Gerd sich eine Sache in den Kopf gesetzt hat, ist er fast unmöglich davon wieder abzubringen; in Fragen der Ausbildung erlebten wir das auch schon öfters. Candy war, wie gesagt, Familienmitglied, und Familienmitglied bei Bertrams bedeutet für einen Hund, daß er selbstverständlich auch in den Urlaub mitgenommen wird, und sei es auch, wie im vorliegenden Falle, eine mehrmonatige Reise im Wohnmobil durch ganz Europa. Dabei hielten sich die Bertrams besonders lange in Portugal auf, wo sie sich einige Wochen an der Algarve auf einem Campingplatz installierten. Candy spielte als fünf Monate alter Junghund mit den Dorfkötern, in deren Rudel er sich auch anfangs einordnete. Sie klauten frisch gefangene Fische am Strand, leerten Papierkörbe aus und waren eine rechte Plage. Der Boss war ein großer schäferhundähnlicher Bastard, der sein Rudel mit harter Hand regierte. Als Candy einmal unter dem Tisch vor dem Wohnmobil lag und sich dadurch stärker fühlte, kam es zu einem ersten Schlagabtausch mit dem Rudelführer, der Candy angreifen wollte. Die Sache wurde von Michel Bertram, der unmittelbar daneben saß, sofort unterbunden, wobei Candy die harte Faust seines Herrn weitaus mehr zu spüren bekam, als der fremde Hund. Der Nachbar, ein Engländer, war entsetzt, nicht etwa weil sein Hund Lagos, der Rudelboss, einige Schrammen hatte, sondern weil Bertram so dazwischengehauen hatte. Bullterrier seien nun einmal so, sagte er.
Lagos selber war wohl nicht bereit, die Sache so aufzufassen, er sah das alles wesentlich enger. Einige Tage später erwischte er mit drei Kumpanen den kleinen Candy an einer abseits gelegenen Stelle, Michel hatte seine Mühe, den Bullterrier wieder zusammenzuflicken. Einige Tage später sah es schlecht aus um Candy, aber dann fraß er wieder und war nach wenigen weiteren Tagen so weit wiederhergestellt, daß er die Sache zuende bringen konnte. Vor den Augen seines Herrn und der halben Campingbelegschaft brachte er Lagos um. Bertram wollte eingreifen, aber ein englischer Kolonialoffizier hinderte ihn mit körperlicher Gewalt daran.
Eigentlich wußte Michel Bertram trotz seines Kontaktes zu Lehmann damals noch recht wenig über den Bullterrier. Jetzt erzählten ihm die englischen Nachbarn, der Kolonialoffizier und ein weiterer Neuseeländer vom Bullterrier und ihren eigenen Erfahrungen mit diesem Hund. Sie beglückwünschten Michel Bertram zu seinem Candy, den sie für einen echten, wenn auch vielleicht später einmal nicht so schönen Vertreter der Rasse hielten.
Damit aber sind Candys Schandtaten aus Portugal noch nicht zuende. Beim Campingaufenthalt an einem Stausee im Süden kommen immer wieder die halbwilden schwarzen Schweine, um den Abfall aufzufressen. Als zwei sich in seiner Reichweite befinden, greift Candy an, worauf Michel wieder gewaltig dazwischenhaut - er möchte keinen Ärger mit den Schweinehirten. Der Neuseeländer, immer noch Nachbar der Bertrams am neuen Campingplatz, stoppt Michel und möchte nicht, daß Candy gar zu sehr verhauen wird. Also legt Michel den Hund an die Kette.
Candy betrachtet weiterhin die grunzenden schwarzen Unholde, die sich bald wieder heranwagen. Dann ist es ihm zu viel, er nimmt einige Schritte Anlauf, sprengt die Kette und reißt auch noch seinen Herrn und Meister mit, der gerade noch die Kette erwischt hat. Dann hebt ein sehr lustiger (für Candy, nicht für seinen gestreßten Besitzer) Schlagabtausch an, in dem Candy die Schweine arg blessiert in die Flucht schlägt. Da ich selber diese Viecher kenne, darf ich den deutschen Lesern darauf aufmerksam machen, daß es sich bei diesen schwarzen Teufeln um Schweine handelt, die eher dem Wildschwein, als dem veredelten deutschen Hausschwein mit seiner nicht mehr leistungsfähigen Anatomie handelt. Das halbwilde iberische Schwein lebt ständig draußen, ernährt sich von Eicheln etc., läuft wie ein Wildschwein und ist in Rotten durchaus in der Lage, gefährlich zu werden; vor einem Hund haben diese Schweine keinerlei Achtung, und falls einer frech werden will, zeigen sie ihm durch einige kräftige Bisse, daß sie durchaus Herr der Lage sind.
Die vom Campingplatz hatten jedoch ihre Ansicht über Hunde geändert. Als der Schweinehirt wild gestikulierend und laut schreiend angelaufen kam, dachte Michel schon, er müßte alte Fähigkeiten aus seiner Laufbahn als Boxer wieder reaktivieren. Die Erregung des portugiesischen Eumaios war dagegen ganz anderen Ursprungs - er war von Candy fasziniert und bot seinem inzwischen wieder beruhigten Besitzer drei seiner eigenen Hunde zum Tausch für Candy an, dazu noch das am meisten gezeichnete Schwein, welch Angebot Bertram aber ohne lange Bedenkzeit ablehnte, zumal der Schweinehüter auch gleich zugab, daß seine Hunde sich an die Schweine nicht herantrauten und im Gegenteil schon öfter von den Schwarzkitteln gehörig zur Brust genommen worden waren.
Herrn und Hund waren diese portugiesischen Erlebnisse eine bleibende Erinnerung. Jedoch kann man bekanntlich jedes Ding von zwei Seiten sehen. Candy fand fortan besonders Hunde mit Kippohren und Ringelschwanz äußerst anregend, so daß er einmal einen solchen durch das geschlossene Wohnzimmerfenster im Parterre angriff, und sein Herr nur durch entschlossenes Zufassen den Hund hindern konnte, seiner Zuneigung gegen ringelschwänzig-schlappohrige Artgenossen Ausdruck zu verleihen, wenn auch die Fensterscheibe beim Teufel war. Michel wiederum war wegen dieses Charakterzuges seines Hundes ungeheuer sauer auf ihn und versuchte, mit Feuer und Schwert ihm diese Lustbarkeiten zu vergällen. Das Ergebnis war, daß Candy nicht davon abließ, aber gegenüber seinem harten Herrn in einer Weise duckmäuserte, daß Uneingeweihte ihn für einen absoluten Scherenschleifer halten mußten. Hier zeigt sich wieder einmal die altbekannte Tatsache, daß der Bullterrier häufig Härte gegenüber Fremdeinflüssen gepaart mit mangelnder Führerhärte in sich trägt, was seine Ausbildung auch nicht gerade leichter macht. Mehrmals war Michel Bertram in dieser Phase so weit, daß er den Hund weggeben wollte.
Nach der Rückkehr von der langen Reise waren die Bertrams auch einmal wieder bei Gerd Lehmann, wo man ihnen den Rat gab, doch einmal mit dem Hund eine vernünftige Ausbildung zu betreiben, Sport zu machen. Dadurch, so Lehmann, sei auch das Problem des Gehorsams besser in den Griff zu bekommen. Michel sagte zu, und bei der ersten Ringhetze in Eberbach biß Candy seinen Herrn kräftig in die Hand! Es spricht für Michel Bertram, daß er trotz dieses eklatanten anfänglichen Mißerfolges nicht das Handtuch warf, sondern weitermachte - mit einem Hund, wohlgemerkt, der nicht einfach war.
So griff er sich beim Stellen und Verbellen einen Schäferhund. Das Ergebnis war, daß man ihm solche Freuden vorerst strich und er zu dreimal wöchentlicher Unterordnung verdonnert wurde. Mit dem Apportieren kam keiner bei ihm weiter, bis sich Geißner der Sache annahm, der Figurant und Lehrhelfer des SV Ebersbach, in dem Michel und Candy ihre ersten Schritte im Leistungssport unternahmen. Geißner ist nicht nur ein exzellenter Schutzdiensthelfer, sondern auch in der Hundeausbildung ein Profi, der natürlich erfolgreich war.
Im Schutzdienst durfte Candy bald danach wieder anfangen. Über den von Raiser so betonten und von einer Unzahl Epigonen schlecht nachgemachten Aufbau über den Beutetrieb war bei Candy nichts mehr zu machen. Er hatte viel zu viel Kampferfahrung, um zu begreifen, daß das alles nur ein besseres Spiel sein sollte. Mit Sperren kam Geißner zwar weiter, wenn konsequent gearbeitet wurde, aber für den Hund war es eine Tortour.
Der Züchter dagegen war stolz auf den harten Candy. Kam ein Welpeninteressent, klingelte bei Bertrams in Mannheim das Telefon, Michel und Candy mußten nach Eberbach zur Vorführung. Die Welpeninteressenten waren beeindruckt, flugs war wieder ein Welpe aus der Zuchstätte vom Igelberg platziert. Nicht, daß dagegen etwas einzuwenden wäre, welcher Züchter würde nicht stolz, ein besonders gutes Exemplar seiner Zucht vorzuführen! Für Candy und Michel war es dagegen einige Mühe, die beide aber gerne auf sich nahmen, denn schließlich war auch Michel stolz auf seinen Hund. Darüber hinaus kann man bekanntlich von Michel manchen Gefallen haben, er ist ein gutmütiger Mensch.
Neben dem schon erwähnten Schutzdienst, in dem oft eine nicht ganz normale Sonderbehandlung notwendig war, wurde nun auch die Fährte mit Hilfe von Lehmann und Geißner betrieben. In dieser Ausbildungsphase war Candy bis zu fünf mal in der Woche im Training. Während er in der Fährte Fortschritte machte, stagnierte er immer noch beim Auslassen im Schutzdienst, er war nicht sauber zu bekommen. Das Teletakt-Gerät bewirkte nur, daß sich Candy in den Zaun verbiß.
In diese Zeit etwa fällt mein erstes Interesse an Candy, nicht nur weil er ein Sohn meines Rüden Uri Alemannentrutz war, sondern weil ich immer ein bißchen die Augen offenhalte nach gutem Nachwuchsmaterial. Ich fragte Bertram, wie er zu einer Überprüfung des Hundes steht. Obwohl Lehmann ihm abrät, sagt Bertram zu. Kurz zuvor hatte ich Andy vom Igelberg überprüft, und Lehmann hatte dabei, wie wir alle, am Ende Schwächen gesehen, wenn der Hund auch weit überdurchschnittlich veranlagt war. War es die Furcht, daß sich auch bei Candy Schwächen zeigen könnten, wodurch dem Stall Igelberg ein Zugpferd verloren gehen könnte, oder war es die Besorgnis, Candy könnte besser sein als der eigene Rüde Andy? Ich weiß es nicht; Michel jedoch schwört der zweite Grund sei der ausschlaggebende gewesen. Jedenfalls ist eine Tatsache, daß in Eberbach in Gesprächen diese beiden Rüden immer wieder miteinander verglichen und gegenübergestellt wurden. Als Lehmann mit seiner Alexa in Begleitung von Bertram zu mir zum Decken kommt, wird ein fixer Termin ausgemacht, und trotz der Warnung von Seiten Lehmanns auf der Heimfahrt bleibt Bertram bei seiner Zusage.
Die Überprüfung fand statt, als Candy erst 11 Monate alt war, bei Dunkelheit neben dem Gelände des SV Eberbach. In der Gruppe zeigt sich Candy bei Geräuschen und optischen plötzlichen Reizen unbeeindruckt, auch dichtes Bedrängen von hinten bringt ihn nicht aus der Ruhe. Nach kurzem Anreizen wird er auf ca. 130 m auf einem Asphaltweg nachgeschickt; ich stehe im absolut dunklen Schlagschatten einer Lampe, die den Platz grell beleuchtet. Ich lasse ihn beim Sprung in die Dunkelheit aussteigen, drücke nach, bevor der Hund noch Boden unter den Füßen hat, und überlaufe ihn dabei. Candy faßt ohne zu zögern sofort hart und voll. Er zeigt sich danach auch ohne Ärmel und mit der Zivilstulpe einwandfrei und verdaut alle Tricks. Dabei bleibt er ehrlich und zeigt nicht einen Funken unerwünschter Schärfe. Ich komme bei diesem Hund auch nicht bis an die Grenze seiner Möglichkeiten, was mir selten passiert. Für mich stand von diesem Zeitpunkt an fest, daß ich ihn für die Zucht verwenden würde, trotz seines mäßigen Formwerts.
Ich sagte es nicht gerne, als wir wieder im Vereinsheim waren, aber ich mußte antworten, als man mich fragte: Candy war zwei Klassen besser als der wahrlich gute Andy. Ich sah den Schatten im Gesicht von Gerd Lehmann, und ich glaube, seine Frau hat es mir noch mehr verübelt, aber so war es! Ich als Züchter wäre stolz auf einen solchen Hund gewesen, auch wenn er besser gewesen wäre als mein eigener Rüde. Denn auch ein verkaufter Rüde ehrt den Stall, aus dem er kommt.
Über den Winter arbeitete man in Eberbach hart an Candys SchH I. Im Frühjahr kam im Mai der erste Versuch hier in Würzburg anläßlich der Bundessiegerprüfung mit 20 Teilnehmern. Candy fiel leider durch, verließ den Platz jedoch nicht ohne einen Eklat. Als er zum Schutzdienst aufgerufen wurde, hatte man den Richter gewarnt, mit auf den Platz zu gehen; er hatte sich immer an den Zaun neben das Zelt mit dem Schutzdiensthelfer gestellt, in dem der für den Hund unsichtbare Helfer stand. Candy kannte den Platz nicht und war es gewohnt, den Helfer offen im Versteck zu sehen. Da Candy unter Umständen nicht stellte und verbellte, sondern gleich zugriff, war die Gefahr für den Richter offensichtlich. Dieser Richter kannte aber nicht nur die Rasse Bullterrier nicht, er war darüber hinaus während des Unterordnungsteiles bereits übel aufgefallen, indem er den Teilnehmern Dinge sagte, die sich auch dann nicht gehörten, wenn sie in ihrer Prüfungsangst immer wieder vergaßen, die korrekten Schrittzahlen einzuhalten. Es spricht für den Sportsgeist z.B. von Gerd Lehmann, wenn er in einem solchen Falle ohne aufzumucken Bemerkungen wie "Ich würde Ihnen ja raten mitzuzählen, wenn Sie dazu überhaupt in der Lage wären" ertrug.
Candy sauste los und nahm deutlich Kurs auf den Richter, der so gut zählen konnte, und ich weiß, daß einige Aktive und Zuschauer sehr enttäuscht waren, als Geißner aus dem Zelt trat, kurz bevor Candy am Richter war, so daß er den "wahren Feind" erkannte, und abdrehte, um Geißner zu nehmen. Bei Candys Griff hätte der Herr Leistungsrichter sicher für einige Zeit nicht mehr solch freundliche Ermahnungen wie auf dieser Prüfung abgeben können.
Nach dem mißglückten Versuch, die SchH I zu bestehen, machten Herr und Hund in Mauer im selben Jahr einen zweiten Anlauf, und siehe da, es klappte.
Fragen Sie mich nicht wie, aber Candy bestand die SchH I mit der schlechtesten Note Befriedigend. Ein solches Glück war ihm nie wieder hold, er bestand nie wieder eine Leistungsprüfung. Aber was soll dieses Kriterium auch bei einem solchen Hund. Wenn wir nur solche hätten, ich würde gerne auf jede Leistungsprüfung verzichten, ich, dem man doch einen gewissen SchH-Fetischismus nachsagt.
Candy wurde danach in mehreren Pokalkämpfen vorgestellt, wurde aber im Schutzdienst immer unsauberer, so daß Gerd Lehmann dem Besitzer von weiteren Veranstaltungen dieser Art abriet. Als Bullterrierleute aus Berlin Candy zum Decken nehmen wollen, gibt Lehmann den Hund als sein Eigentum aus, den Bertram lediglich ausbilde; auch sei der Ausbilder und der Hund im Augenblick nicht erreichbar. Irgendwie hatte man den EIndruck, daß Lehmann eine merkwürdig gespaltene Einstellung zu diesem Hund hat, Neid, Mißgunst, aber auch Stolz scheinen, so Michel Bertram in seinem Gespräch mit uns, ein undurchdringliches Dickicht geschaffen zu haben.
Zivil schützte Candy durchaus auch, ja es gab sogar ein Angriffssignal, auf das er sofort reagierte. Als Rosi Bertram auf dem Campingplatz an der spanischen Rennstrecke Jarama auf dem Gang zu den Mülltonnen von einigen Spaniern "angemacht" werden sollte, rüdete Michel seinen Hund mit den zugegebenermaßen nicht sehr feinen, dafür waschechten Worten: "Paß auf, was will der Wichser!" so an, daß der die Löffel spitzte, losspurtete und den Spanier in die Hüfte biß. Seitdem war das stereotype "Paß auf, was will der Wichser?" Candys "Faß den Lump" für den zivilen Einsatz geworden.
Trotz dieser zivilen Komponente blieb Candy weiterhin im Wesen gut und ausgeglichen. Er war sehr kinderlieb, nicht nur zu Menschen- , sondern auch zu Hundekindern. So war er rührend um eine Dalmatinerhündin mit ihren vier Jungen besorgt. An das Leben in einer Großstadt hatte er sich vollkommen gewöhnt. Er war keiner von den armen Hunden, die außer Zwinger und Platz nichts zu sehen bekommen.
Michel Bertram hatte inzwischen große Zuneigung zu seinem Hund gefaßt, die uns anderen bei einem solch harten Typ wie ihm oft Anlaß zu Spott und Gelächter gab. An Hundekämpfen, die ihm im Ausland angetragen wurden, hat er sich deshalb auch nicht beteiligt, und selbst wenn es in Jugoslawien an schweres wehrhaftes Wild ging, klopfte Michel das Herz weit mehr als seinem Candy.
Candy starb im Spätsommer 1983. Wir wissen alle nicht genau woran, denn Michel war in seinem Schmerz nicht dazu zu bewegen, einer Obduktion zuzustimmen. Er war in einer großen Holzkiste mit ausreichender Belüftung in einem Auto mit ausreichend heruntergekurbelten Fenstern, das im Schatten stand, untergebracht - die Außentemperatur war warm, aber nicht heiß. Wurde er von Passanten durch das offene Fenster hindurch geärgert, wie eine Nachbarin gesehen haben will? Hatte er einen Tumor? Jedenfalls hat Rosi Bertram schon einige Zeit vorher oftmals ein merkwürdiges Kopfkreisen und glasige Augen bemerkt, wobei der Hund für eine ganze Zeit nicht ansprechbar war.
Candy ist tot, aber er hinterläßt der Bullterrier-Nachwelt zum Glück einigen Nachwuchs. Die Tatsache, daß Candy der Zucht zugeführt werden konnte, darf ich mir auf meine Fahnen schreiben, und ich bin stolz darauf. Der erste Deckakt mit unser Gin-Ye-Daur Elaine blieb erfolglos, der zweite hatte acht Welpen zur Folge, von denen einige im Alter von sechs Monaten schon sehr rabiat zur Sache gingen. Danach deckte Candy die weiße Athene vom Schloß Rodenberg, die ich selber Herrn Kohlhöfer verschafft hatte; sie hatte 9 Junge, wovon ein weißer Rüde bei Michel Bertram blieb. Athene war übrigens eine Hündin, die mir interessanterweise mit dem Hinweis verkauft wurde, sie sei für die Zucht nicht geeignet, da sie schlechte Muttereigenschaften habe und mit ca. drei Wochen alten Welpen sich sehr schlecht aufführe, ja sie totbeißen würde. Ich übernahm die äußerst temperamentvolle Hündin aus Jobrulu Anthyllis und Little King's Lady nach ihrem zweiten Wurf als Erwachsene und hatte wenig Schwierigkeiten, in der Ausbildung vorwärts zu kommen. Sie war fast zur SchH I fertig, als ich sie auf Kohlhöfers Bitten an ihn weitergab, der weder durch Kauf noch durch eigene Zucht bisher eine Hündin in seinem Besitz hatte, die wirklich Kampftrieb hatte. Er suchte verzweifelt eine passende Zuchthündin. Ich ließ sie ihm zu einem mehr als fairen Preis unter der Bedingung, daß ich den Deckrüden des nächsten Wurfes bestimmen und eine Hündin aus diesem Wurf gratis erhalten sollte. Der Deckakt mit Abraxas Astronomist brachte allerdings so wenig Hündinnen, daß wir das Agreement auf den nächsten Wurf ausdehnten, der mit Candy, wie gesagt, neun Welpen brachte, darunter auch genügend Hündinnen. Leider mochte Herr Kohlhöfer nicht zu seinem gegebenen Wort stehen und war trotz Mahnungen meinerseits nicht zur Einlösung seines Versprechens zu bringen. Der Leser mag sich seinen Reim auf dieses merkwürdige Verhalten eines »Sportkollegen« machen.
Zurück zu Candys weiterer Zuchtverwendung, zu der es leider nicht mehr allzuviel zu sagen gibt. Friar Tuck's Gin Tonic hatte drei tote Welpen, während der letzte Deckakt unmittelbar vor seinem Tode mit Friar Tuck's Filly einen sehr schönen und ausgeglichenen Wurf von fünf Welpen brachte. Der deckunerfahrene Candy brauchte bei seinem Ungestüm oft ein bißchen Hilfe, was nur zu natürlich ist.
Am Wesen dieses Hundes gab es nichts auszusetzen, wie sicher schon aus den vorhergehenden Seiten deutlich geworden ist. Sein Formwert, auch ein Kriterium für die Zuchtverwendung, war dagegen nur mäßig. Er machte seine zwei vorgeschriebenen SG, und damit hatte es sich. Er hatte zuwenig Downface und trotz seines enormen Schädels zu wenig Ausfüllung. Seine Front war bei Bombenknochen alles andere als gun-barrel-straight, wozu er noch die Schultern ausdrehte. Ich versuchte deshalb, ihm Hündinnen zuzuführen, die diese Fehler ausgleichen konnten. Filly und Gin-Ye-Daur Elaine haben beste Köpfe und sind auch in der Front einwandfrei. Für einen Hund wie Candy sollte man grundsätzlich mehrere Hündinnen im Programm haben, von denen man die passende dann sorgfältig auswählen muß. Es wäre schade, wenn dieser Kampftrieb und dieses Wesen der Zucht verlorengegangen wären, aber eine Zucht nur auf Kampftrieb ohne Beachtung gewisser Regeln der Anatomie brächte uns bald Hunde, die wegen ihres zu schlechten Äußeren keine zuchtfähigen Prädikate auf Ausstellungen mehr erringen könnten. Vorsicht also bei der Zuchtverwendung von wesensmäßig hervorragenden, aber äußerlich fehlerhaften Hunden.
Ich hätte Candy schon längst eher in die Zucht genommen, wenn ich seinen frühen Tod geahnt hätte. Aber neben Candy gab es noch einige andere kampftriebstarke Hunde, die ich mich ebenfalls verpflichtet fühlte, der Zucht zuzuführen, und die überdies schon wesentlich älter waren als Candy, den ich, wie ich glaubte, immer noch einmal verwenden konnte. Heute bin ich froh, daß wenigstens diese drei Würfe mit insgesamt 22 Jungtieren existieren.
Candy lebt in diesen Jungtieren weiter, von denen eines sich bei Michel Bertram befindet, ein weißer, sehr kräftiger und frecher Rüde. Er lebt aber auch weiter in unserem Candy-Nachwuchs-Pokal, den wir am 13. Mai 1984 in Mannheim veranstalten. Dies soll eine Nachwuchsschau sein, auf der wir versuchen einige junge Rüden und auch Hündinnen zu entdecken, die bisher nicht überregional bekannt geworden sind, vielleicht auch deshalb, weil die Besitzer auf Schauen nicht den gewünschten Erfolg hatten und sich mit ihren Hunden, die sie deshalb abgewertet sehen, nicht mehr vor eine größere Öffentlichkeit trauen. Kommen Sie zu dieser Schau, sie wird sicher sehr interessant werden.
Für die Interessierten noch ganz kurz der Ablauf der Überprüfung, die natürlich für jeden Hund gleich sein wird, wenn wir auch mit berücksichtigen werden, welchen Ausbildungsstand der einzelne Hund hat. Wir beginnen mit der Überprüfung des Nervenkostüms, der Reizschwelle, der Sicherheit, wobei noch keine Kampfhandlung stattfindet. Danach folgt eine schutzdienstmäßige sehr lange Flucht mit vollem Körpereinsatz. Zum Schluß wird der Hund mit einem beißsicheren Maulkorb versehen und zivil angegangen, um festzustellen, ob er sich treiben läßt, wenn er nichts fassen kann. Wir wissen, daß wir Kritiker haben werden, die sagen »zu wenig« und andere, die behaupten »zu viel«. Wir glauben aber dennoch, daß unsere Methode einen fairen Mittelweg darstellt. Solch eine Überprüfung, die ja weit mehr ist als eine herkömmliche Körung, ist noch kaum jemals in größerem Maße gemacht worden - wir sind jederzeit bereit, dazuzulernen.
Sewerin