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Aus dem hier abgebildetem Zuchtbuch:


 

 


 

Auf der Suche nach dem verlorenen Blut
 
Für die genetische Gesundheit jeder Rasse ist es unbedingt erforderlich, daß eine breite Zuchtbasis vorhanden ist. Das wissen erfahrene Züchter ebenso wie Genetiker, die uns immer wieder darauf hinweisen, welche Gefahren die Inzucht, aber auch die Zucht auf zu schmaler Basis in sich birgt. Je schärfer eine Rasse selektiert wird, desto eher besteht die Gefahr, daß alles zu eng wird, daß Blutlinien verlorengehen und Inzuchtdepressionen entstehen.
Dabei ist Inzucht an sich weder etwas Schlechtes noch etwas Gutes. Unter Inzucht versteht man ganz einfach die Paarung von verwandten Tieren miteinander, d. h. von Tieren, die gemeinsame Vorfahren haben. So gesehen liegt auch dann Inzucht vor, wenn der gemeinsame Vorfahre 12 Generationen zurückliegt, wenn dann der Inzuchtgrad oder Inzuchtkoeffizient auch sehr gering ist. Relevant ist eine solche Inzucht um so mehr, je weniger weit sie zurückliegt, bzw. je mehr gemeinsame Vorfahren vorhanden sind. Für den praktischen Gebrauch sprechen wir von Inzucht, wenn auf der Ahnentafel eines Hundes, also in den ersten 4 oder 5 Generationen, auf der Mutter- und der Vaterseite ein oder mehrmals derselbe bzw. dieselben Ahnen vorkommen.
Je stärker die Inzucht ist, d. h. je höher der Inzuchtkoeffizient ist, desto reinerbiger wird das Zuchtprodukt. Inzucht als Zuchtmethode wird eingesetzt, wenn man im Formwert oder im Wesen einer Rasse besondere Eigenschaften reinerbig festigen will. Wenn man Inzucht betreibt, kann man aber im voraus nicht wissen, welche Eigenschaften sich reinerbig zeigen werden, mit anderen Worten, es werden durch die Inzucht oft im Erbgut vorhandene Erbfehler reinerbig und damit sichtbar gemacht. Auch kann es geschehen, daß man einerseits eine erwünschte Eigenschaft durch Inzucht fixiert und dabei gleichzeitig eine andere, ebenfalls erwünschte eleminiert. Die dafür verantwortlichen Gene kann man nur durch Einkreuzen von Hunden anderer Linien wiedergewinnen, in denen sie noch vorhanden sind. Die unerwünschten Folgen der Inzucht, die sogenannten Inzuchtdepressionen, kommen aber selbst dann vor, wenn man gar keine Inzucht betreibt. Dies ist dann der Fall, wenn man mit ganz wenigen Hunden züchtet oder züchten muß, weil nicht mehr geeignete Tiere zur Verfügung stehen. Prof. Schleger hat dieses Phänomen in einem längeren Vortrag behandelt (abgedruckt in unserem Zuchtbuch Bd, I). Unter den negativen Inzuchtfolgen befinden sich u. a. eine ganze Menge gesundheitlicher Schäden, so z. B. Kniegelenksluxationen, HD, Osteochondrosen, Entropium, etc.
Der Bullterrier war nie eine wirklich weitverbreitete Rasse; weder in England noch in Deutschland hatte er je eine breite Basis. Wie ich in den folgenden Kapiteln zeigen werde, wurde diese Basis willkürlich sogar noch verengt. Unkluge Zuchtlenkung, die sich statt genetischer Gesundheit unsinnigen anatomischen "Gags" verschrieb, machte das möglich.
Natürlich kamen und kommen alle Bullterrier letztendlich aus englischen Linien - irgendwann in der Vergangenheit hat jeder Bullterrier englische Vorfahren. Dennoch kann man beim Studium alter Zuchtbücher feststellen, daß sich in Österreich und in Deutschland nach dem Weltkrieg sozusagen eigenständige Linien gebildet hatten. Trotz Einkreuzung gelegentlicher, sehr seltener Englandimporte behielten sie ihre Eigenständigkeit. Diese Linien zeichneten sich ganz besonders durch gutes Wesen aus; alle alten Kenner der Rasse stimmen darin überein, daß die Bullterrier der damaligen Zeit in dieser Hinsicht weit besser waren, als der Durchschnitt der heutigen Hunde, ohne daß bei dieser Wertung Nostalgie und "die guten alten Zeiten" den Blick trüben. Die Leistungsfähigkeit der damaligen Hunde ist auch oft im Bild festgehalten worden, und Hauck schwärmte noch davon in seinem Bullterrierbuch: über mannshoch springende Hunde, scheinbar mühelos über fast zwei Meter hohe Hecken setzend - wer könnte das von unseren heutigen Ausstellungschampions noch? Die meisten schaffen nicht einmal mehr den Sprung ins Auto, in das sie heute fürsorglich gehoben werden müssen.
 
 
Die Situation nach dem Krieg 
 
Wenn wir uns die alten Zuchtbücher nach dem Krieg, sagen wir von 1945 bis 1960 ansehen, überrascht die Breite der damaligen Zucht im Verhältnis zur geringen Welpenzahl. Es wurden jährlich ca. 40 Welpen eingetragen (heute sind es ca. 750). Futter war knapp, denn die Menschen hatten selber nichts zu essen. An Englandimporte war nicht zu denken, aber wenigstens waren die Verbindungen nach Österreich gut. Wenn ein kleiner Ausflug in die Statistik nicht zu langweilig wird, will ich versuchen, diese Breite der damaligen Zucht zu erklären. Die folgende Tabelle liest sich so:
Das Zuchtbuch Band I für die 4 Jahre von 1945 bis1948 zeigt die Eintragung von insgesamt 184 Welpen, also durchschnittlich 46 Welpen pro Jahr. Insgesamt waren das 40 Würfe. Vier Rüden wurden überdurchschnittlich oft verwendet: einer deckte 7 mal, 2 deckten jeder 6 mal und einer deckte 5 mal. 18 Würfe gingen auf das Konto von 4 Rüden. Die mehrfach verwendeten Rüden machen also noch nicht einmal die Hälfte aller Würfe aus. So ist das auch in den folgenden Jahren; es wurden viele Rüden verwendet, wenige wurden sehr oft eingesetzt. Ab dem Zuchtbuch Band II wurden auch englische Importrüden eingesetzt. In den Jahren 1949 - 1952 wurden 4 solcher Importrüden eingesetzt, sie zeichnen verantwortlich für 6 Würfe.
Interessant ist ein Vergleich mit den Eintragungen des Jahres 1970, nur 10 Jahre später. Das Jahr fällt keineswegs aus dem Rahmen - auch 1969 oder 1971 sind ähnlich. In diesem einen Jahr wurden 129 Welpen eingetragen, die aus 30 Würfen stammen. Fünf Rüden deckten jeweils 4 mal, d. h. allein 20 der 30 Würfe gehen auf nur 5 Rüden zurück. Der Anteil der Importrüden: 6 Rüden brachten 14 Würfe!  Das heißt, daß fast die Hälfte aller Würfe bereits von Importrüden stammen. Was war in den 10 Jahren seit 1960 geschehen, woher kam dieser Trend, der im Laufe der 70er Jahre noch deutlicher zu sehen ist ?
Bevor wir diese zentrale Frage beantworten, wollen wir uns zunächst noch andere Eigentümlichkeiten dieser Zeit nach dem Kriege anschauen. Da sind zunächst die bis zum Jahre 1961 geführten Gebrauchshundelisten, d. h. ein Verzeichnis derjenigen Bullterrier, die im laufenden Jahr eine Schutzhundprüfung abgelegt hatten. Diese offizielle Liste ist vielleicht nicht unbedingt ganz vollständig, aber ihr bloßes Vorhandensein zeigt deutlich, daß man auf diese Hunde stolz war, daß man sich mit ihnen identifizierte. Ab 1962 liest man keine Gebrauchshundelisten mehr, dafür mehren sich die Englandimporte .... Sicher wurden in jenen Jahren Bullterrier weiter zu Schutz- und Fährtenhundprüfungen geführt, aber der Club nahm keine Kenntnis mehr davon, diese Hunde waren dem Club einfach egal. War es Zufall, daß just in dieser Zeit Namen von Leuten unter den Züchtern und Funktionären des Clubs auftauchten, die später alles daransetzen sollten, dem Bullterrier der alten deutschen Linien, dem für die Sport- und Gebrauchshundearbeit tauglichen Bullterrier, den Garaus zu machen!? 
Damals wie heute legten Bullterrier Prüfungen bei anderen Rassehundevereinen oder bei den allgemeinen Gebrauchshundeverbänden ab, und damals wie heute kann man davon ausgehen, daß bei weitem nicht alle Prüfungen gemeldet wurden, weil der Bullterrier nicht zu den anerkannten 8, damals 7, Gebrauchshunderassen gehörte. Deshalb ist es umso erstaunlicher, wenn z.B. 1960 neun Hunde in der Gebrauchshundeliste aufgeführt sind, und im selben Jahr nur 35 Welpen eingetragen wurden. In den anderen Jahren ist das Verhältnis nicht viel geringer. Leider geben diese Listen keinen Aufschluß über Mehrfachprüfungen. Allerdings war die damalige Prüfungsordnung auch "bullterrierfreundlicher", denn sie legte noch nicht, wie die heutige, fast ausschließlich Wert auf sauberes Ablassen statt auf Kampftrieb und derben Griff.
Eine weitere Besonderheit der damaligen Zeit war die ganz andersartige Einstellung zur Selektion und zur Merze. Prof. Hauck, der große österreichische Kynologe und Bullterrierkenner, vertrat diesen Standpunkt bis zum Extrem. Wenige waren wohl auch damals bereit, ihm auf diesem Weg zu folgen, aber dennoch färbte dieser Gedanke ab und fand seine Anhänger. Hauck war der Meinung, daß ohne striktes Ausmerzen im Wurf der enorme Kampftrieb  und die Wesensfestigkeit des Bullterriers  auf die Dauer Schaden nehmen müsse, nachdem ja die große Auslese durch den Hundekampf nicht mehr gegeben war. Er ging so weit, daß er sogar noch von einer dritten Merze im Alter von einigen Monaten sprach. Ein Welpe, der sich auf dem Tisch des Tierarztes bei einer schmerzhaften Untersuchung oder beim damals noch üblichen Kupieren anpinkelte, sollte lt. Hauck sehr genau beobachtet werden; sollte ihm bei der Untersuchung sogar ein größeres Mißgeschick unterlaufen, sei es am besten, man lasse ihn gleich "in tabula", auf dem Tisch, d. h. gebe ihm gleich die Spritze. Zwar ist das eine sehr derbe Gangart, aber ein wahrer Kern ist da sicher dabei, denn ohne Selektion ist keine Verbesserung der Rasse zu erreichen. Heute löst man solche Dinge allerdings eleganter, durch eine strenge Zuchttauglichkeitsprüfung etwa. Handelt es sich wirklich um einen ängstlichen, empfindlichen und kampftriebschwachen Hund, so besteht er die Prüfung nicht und kann insofern in der Zucht keinen Schaden anrichten.
Wenn man die alten Zuchtbücher einmal auf die Stärke der Würfe bei der Geburt und auf die Anzahl der schließlich dem Zuchtbuch gemeldeten Welpen überprüft, so sieht man, daß relativ wenig Welpen eingetragen wurden. Bei unseren heutigen Würfen ist es dagegen meistens so, daß fast alle geborenen Welpen auch überleben und eingetragen werden. Ich glaube, daß der Grund weniger in der mangelnden Sorgfalt bei der Aufzucht liegt, als einfach in der heute ganz anderen Einstellung der meisten Züchter. Viele sind heute leider der Meinung, sie müßten auch noch den mickrigsten Mangelwelpen mit Fläschchen und Hilfen des Tierarztes durch die Abnahme päppeln; die heutigen hohen Welpenpreise begünstigen solche Einstellungen sicher auch. Andere sehen dieses Thema sogar weltanschaulich und weigern sich, in einen Wurf einzugreifen den ihnen der liebe Herrgott in die Wurfkiste gelegt hat.
Hauck hin, Hauck her - sicher ist, daß damals die Selektion strenger gehandhabt wurde als heute, was für die Rasse natürlich gut war. Man war mit drei bis vier  Welpen pro Wurf zufrieden, wenn die Qualität vielversprechend war. Auch hierzu ein paar Zahlen. Von 322 geworfenen Welpen wurden in den Jahren 1945 bis 1948 nur 194 in das Zuchtbuch eingetragen, was mit einem Verhältnis von 1,65 / 1 entspricht. Mit anderen Worten: auf 100 eingetragene Welpen kamen 165 geworfene Welpen, 65 wurden also entweder tot geboren, starben oder wurden selektiert. In das Zuchtbuch des DCBT wurden im Jahre 1986 663 Welpen eingetragen, während 864 geworfen wurden. Das entspricht einem Verhältnis von 1,3 / 1; auf 100 eingetragene Welpen kamen mithin 130 geworfene Welpen, nur 30 wurden tot geboren, starben oder wurden selektiert.
Heute schreibt uns das Tierschutzgesetz vor, daß kein Wirbeltier ohne trifftigen Grund getötet werden darf. Selektion darf nicht einmal durch den Tierarzt vorgenommen werden, es sei denn, der Welpe ist sehr krank. Der Züchter darf also keinen Welpen töten. Ob das eine sehr kluge Regelung ist, wage ich zu bezweifeln und weiß mich darin mit vielen erfahrenen und altgedienten Züchtern einig. Wenn jetzt noch dazukommt, daß eine ganze Menge Tierärzte die Berufsethik auch noch so weit übertreiben, daß sie kaum dazu zu bewegen sind, einen offensichtlich nicht lebensfähigen Welpen einzuschläfern, dann haben wir die Misere. Tatsächlich habe ich noch nie so viel Mickerlinge und Krüppel unter Junghunden gesehen, wie heute.
Eine weitere Tatsche verdient unsere Aufmerksamkeit, nämlich die Wurfstärke. 10er,11er, ja sogar 13er Würfe waren damals weit häufiger als heute. Vergessen wir nicht, daß die Wurfstärke ein wichtiger Indikator für die genetische Gesundheit einer Rasse ist. Die durchschnittliche Wurfstärke eines Bullterriers war in den Jahren 1945 - 1948 7,85 Welpen pro Wurf, von denen durchschnittlich pro Wurf 4,14 Welpen zur Eintragung gemeldet wurden. 1986 betrug die durchschnittliche Wurfstärke 6,49 Welpen pro Wurf, 5,06 wurden eingetragen. Eine durchschnittliche Wurfstärke von 6 bis 7 Welpen ist immer noch gut für eine mittelgroße Rasse, aber dennoch ist die Abnahme der Wurfstärke bedenklich.
Nach unserem Ausflug in die Statistik wieder zurück zur Situation des Bullterriers nach dem Kriege. In Deutschland war die Rasse damals sehr selten, ganz im Gegenteil zu Österreich, das damals verhältnismäßig mehr Bullterrier hatte als Deutschland. Sie waren dort nicht nur zahlreicher, sondern auch besser, und wurden entsprechend häufig nach Deutschland importiert. Auch mein erster Bullterrier war Österreicher - aus dem damals recht bekannten Zwinger Maestoso Austria der Familie Kern. Englische Importe wurden gelegentlich bereits eingekreuzt, wenn auch in geringem Maße. Auch dort, im Heimatland der Rasse, gab es damals sicher noch bessere Hunde als heute, wo tatterige Ladies ab 70 die Bullterrierszene beherrschen. Der Einfluß der englischen Hunde war jedoch gering. Oft handelte es sich in Deutschland um Hunde von Armeeangehörigen , die mehr zufällig in Deutschland waren, nicht um planmäßig importierte Hunde.
 
 
Orientierung nach England
 
Mit Beginn der 60er Jahre begann sich vieles zu ändern. Beim Vergleich der Formwerte unserer deutschen Hunde mit denen der Engländer stellten deutsche Bullterrierfreunde fest, daß die Engländer einen ganz neuen Typ von Bullterrier entwickelt hatten. Die Anfänge dieser Entwicklung lagen schon Jahre zurück. Unter der Führung von Oppenheimer und einigen weiteren Züchtern hatte sich der Bullterrier zu einem rumpfigeren, substanzvolleren und bulligeren Typ entwickelt, wobei sich gleichzeitig besonders der Kopf verändert hatte. Er war eiförmiger geworden, hatte am Übergang vom Fang zum Schädel und unter dem Auge keine Einschnürungen und Vertiefungen mehr und hatte im Profil jene eigenartige gebogene Linie bekommen, die wir heute unter der Bezeichnung "Downface" kennen. Die Nase war nach unten gebogen zum sogenannten "Roman finish". Unsere damaligen österreichischen und deutschen Hunde wirkten hochläufiger, schlanker, und ihr Schädel hatte kein Downface, wenn nicht sogar einen deutlichen Stop. Sicherlich waren sie wesentlich funktioneller gebaut, waren leistungsfähiger und mit Sicherheit besser im Wesen; im Formwert aber waren sie den Engländern deutlich unterlegen.
In jeder Rasse ist es üblich, daß das Mutterland den Standard festsetzt, und ihn für alle anderen Länder  auch interpretiert. Der Standard des Deutschen Schäferhundes wird in Deutschland festgesetzt, event. auch einmal geändert oder angepaßt. Dann aber ist er auf der ganzen Welt gültig. Die einzigen, die da gern aus der Rolle fallen, sind eben die Engländer selbst, die häufig meinen, eine ausländische Rasse viel besser zu kennen, als die Züchter und Liebhaber im Ursprungsland. In kynologischen Dingen sind Engländer oft von einer solchen Überheblichkeit, als wären alle anderen Entwicklungsländer und allein die Engländer von der Muse der Kynologie geküßt. Den deutschen Schäferhund und auch den Boxer haben sie fast schon zu Karikaturen gezüchtet, und Übereinstimmungen mit dem deutschen Standard sind nur noch wenig gegeben. Da die Ausbildung zu Gebrauchsprüfungen, wie der in Deutschland für die Zucht vorgeschriebenen Schutzhundprüfung, in England verpönt und sogar verboten ist, kommen die besten Eigenschaften unserer Gebrauchshunderassen in England sehr oft zu kurz. Aber das stört die Engländer wenig, denn ihnen kommt es ohnehin nur auf die Form an.
Beim Bullterrier waren die Engländer nun sogar im Recht, denn schließlich ist unser Hund ein englisches Zuchtprodukt. Leute wie Hinks und andere, die den Bullterrier und seine Vorläufer züchteten, haben allerdings mit den heutigen Züchtern kaum noch etwas gemein. Sie waren alle noch von der harten Sorte, und sie wollten Hunde haben, wie sie selber waren. Nun gut. Die Engländer der Nachkriegsjahre bestimmten nun, daß diese neuen Downface-Hunde mit ihren eiförmigen Köpfen die richtigen seien und alle anderen sich nach diesem Muster richten müßten. Alle späteren und heutigen Bemühungen, nachzuweisen, das Downface sei schon seit ewigen Zeiten das Zuchtziel gewesen, man habe es nur noch nicht richtig herauszüchten können, sind nachgeschobene und äußerst zweifelhafte Begründungen. Ein Blick auf das alte Zuchtmaterial zeigt, daß zumindest bis zum Weltkrieg und kurz darauf von einem Downface keine Rede sein kann.
In Österreich war es der berühmte Prof. Hauck selber, der sich mit all seinem kynologischen Gewicht diesem Trend entgegenstemmte und den Züchtern immer wieder erklärte, daß vom wissenschaftlichen und praktischen Standpunkt nichts, aber auch gar nichts für, sondern vielmehr alles gegen das Downface spreche. Weder könne der Hund damit besser und härter zubeißen, noch sei es Ausdruck seiner Substanz, sondern ganz im Gegenteil habe das Downface Gebiß- und Kieferfehlstellungen zur Folge und sei überdies völlig unfunktionell. Wir wissen heute, daß Hauck recht hatte. Hunde mit starkem Downface haben einen falschen Einlaufwinkel der Fangzähne, was zu Abrieb an den Zähnen führen kann; außerdem neigen sie naturgemäß wegen des künstlich verkürzten Oberkiefers zum Vorbiß, d. h. die vorderen Schneidzähne des Unterkiefers greifen vor die des Oberkiefers. Das Downface verstärkt damit eine Tendenz im Erbgut des Bullterriers, die von der vorbeißenden Bulldogge herkommt. Viele Downface-Hunde können den Fang nicht mehr so weit öffnen wie normal gebaute Hunde, beim Schutzdienst haben sie Schwierigkeiten, einen runden Schutzärmel richtig in den Fang zu nehmen.
Englische Züchter wissen natürlich auch das und versuchten sich an der Quadratur des Kreises. Mein bekannter Rüde Brobar Backchat, Weltsieger 1983 und außerdem von mir zur SchH III ausgebildet, hatte bei einem tollen Downface ein vollständiges Scherengebiß. Bei seinen Nachkommen zeigte sich wiederholt in der Jugend ein starker Rückbiß, bei dem die Schneidezähne des Unterkiefers hinter denen des Oberkiefers stehen, ein bei allen Rassen zuchtausschließender Fehler. Mit dem Zahnwechsel kam dann ein gewaltiger Schub des Unterkiefers nach vorn - und schwuppdiwupp hatte der Junghund eine perfekte Schere. Mit einem genetisch eingebauten Rückbiß mußte also der dem Downface innewohnende Trend zum Vorbiß gebremst werden, damit ein normales Gebiß entstehen konnte. Höchst ingeniös - aber im Grunde genommen abartig !
Wenn man dem Downface überhaupt etwas zugute halten kann, dann besteht sein "Verdienst" höchstens darin, den Bullterrier unverwechselbar gemacht zu haben. So hört man ja auch oft: "Bullterrier ? - Ach, Sie meinen den mit dem Papageienkopf ?" Wiegt dieser Vorteil wirklich die Nachteile auf ?
Hauck hatte den Bullterrier auf dem Kontinent bekannt gemacht. Er hatte eine ungeheuer hohe Meinung von dieser Rasse - und er kannte viele Rassen sehr gründlich! Deshalb empfahl er auch, bei der Zucht des Bullterriers unbedingt diesen Stand zu halten und alles weniger Gute auszumerzen. Oppenheimer andererseits bescherte dem Bullterrier das Downface - jeder mag sich selber seine Meinung über diese beiden Kynologen bilden.
 
 
Unterdrückung der alten deutschen Linien
 
Zurück zur deutschen Bullterrierszene der 60er Jahre. Einige besonders aktive und englandhörige Neuzüchter meinten, die Zeichen der Zeit erkannt zu haben und bliesen mit einem fast schon missionarisch zu nennenden Eifer zum Sturm auf die rückständige deutsche Bullterrierzucht, die sie um jeden Preis der englischen anpassen wollten. Dabei gingen sie durch aus mit deutscher Gründlichkeit und mit Methode vor, und auch mit gutem Beispiel voran. Sie importierten Hunde aus England, propagierten sie, wo sie konnten, und züchteten auch selbst streng "englisch". Bei ihren Exportbemühungen war ihnen die nach dem Krieg allmählich abnehmende Ablehnung der Briten gegenüber den Deutschen behilflich; man konnte leichter als Deutscher in England Hunde kaufen.
Nicht alle deutschen Züchter aber waren ohne weiteres bereit, diesem neuen Trend zu folgen. Manche wußten, was sie an ihren Tieren hatten und waren mit dem Wesen vieler Importrüden absolut nicht einverstanden. Diese Rüden zeigten zum größten Teil auf dem Hundeplatz, den viele mit ihren Bullys aufsuchten, ganz und gar keine Heldentaten, was sich natürlich rasch herumsprach. Da half dann seitens der Englandfans nur noch eines: "Und bist Du nicht willig, so brauch' ich Gewalt." Kaum zu Club- oder Richterämtern aufgestiegen, begannen sie, die widerborstigen Züchter zuerst ein bißchen, dann immer mehr zu ihrem Glück zu zwingen. Damals waren die Schaubewertungen, wie auch heute noch bei den anderen Clubs, ausschlaggebend für die Zuchtzulassung. Gezüchtet werden durfte nur mit Bullterriern, die auf einer Schau die Bewertung "Sehr gut" von zwei verschiedenen Richtern erhalten hatten. Das war der Hebel, der nun und in den Folgejahren angesetzt wurde, um die alten deutschen Linien zurückzudrängen, und die englischen in die Zucht zu bringen. War ein Züchter schon selber nicht bereit, einen Hund aus England zu importieren, so mußte er seine "altmodische" Hündin nun mindestens dem neuesten Deckrüden aus England zuführen, wenn seine Nachzucht die Klippe der Schaubewertung, die beiden "SG", schaffen sollte.
Wäre es nur beim Downface als Modegag geblieben, hätten die damaligen Verantwortlichen nur mehr Augenmaß bewiesen und die Werte der alten deutschen Linien beachtet, wäre sicher weit weniger Porzellan zerschlagen worden. Aber wie die meisten Fanatiker waren sie unkritisch und dünkten sich erhaben über die gesunden, wesensfesten und funktionellen Bullterrier auf dem Kontinent. Beim neuen Superstar aus England fragte man nur: "Hat er Downface ?" nie aber "Ist er feige oder krank ?"
Da auch im Mutterland schon lange nicht mehr auf Wesen und Kampftrieb geachtet wurde, mußte man wahrlich Glück haben, noch einen ordentlichen Bullterrier in England zu finden. Von den meisten Englandimporten wissen wir, daß sie eher zu dem Schlag gehörten, den Hauck mit seinem Ausspruch "Die faden englischen Milchsuppen schmecken uns nicht." gemeint hatte.
 
 
Sieg der "Engländer"
 
Fast unverständlich erscheint uns heute, daß die Englandjünger kaum harten Widerstand fanden. Sicher waren sie die "Oberschicht", sie sprachen Englisch (manche Autodidaktiker darunter mit einem Akzent, der einem die Zähne zieht), sie reisten nach England, sie brachten es zum Richteramt, sie übernahmen Funktionen und Posten im Verein. Sie hatten auch Chuzpe, Sendungsbewußtsein und Tatkraft. Auch Unverschämtheit, wenn sie z. B. dem kleinen Züchter aus der Pfalz, der sich mit seiner altmodischen Hündin nis in's ferne Mannheim gewagt hatte, bei der Schau sagten: "Die Schäferhunde werden hier erst morgen gerichtet", und ihn damit aus dem Bullyring schickten. Dennoch ist es aus unserer heutigen Sicht bemerkenswert, daß offenbar keiner sah, welch ein Aderlaß sich hier für unsere Rasse anbahnte. Wir wissen nur, daß sich viele alte Züchter, die sich dem neuen Diktat nicht beugen wollten, zurückzogen und resignierten, weil sie sahen, wie fanatisch und durchaus auch mit Schlägen unter die Gürtellinie damals gefochten wurde. Statt mit solchen Leuten in den Ring zu steigen und ebenfalls mit Dreck zu schmeißen, wollten sie lieber sogar ihre geliebte Rasse aufgeben, oder wenigstens nicht mehr züchten. Sie mochten sich nicht wie die "Gschaftlhuber" zu den Ämtern drängen. Andere wiederum waren von ihren Hunden aus deutscher Zucht so überzeugt, daß sie meinten, eine gelegentliche Verbindung mit einem "Engländer" werde schon nicht so sehr schaden. Die eigene Hündin habe es so faustdick hinter den Ohren, daß für die Welpen schon noch genug bliebe. Was sie mit dieser Laissez-faire-Politik anrichteten, kapierten sie erst Jahre später, als es schon zu spät war. Fazit dieses ungleichen Kampfes: die "Engländer" gewannen die Schlacht, das Downface zog in Deutschland ein, die alten Hunde und ihre Züchter verschwanden oder sie vermischten ihre Linien mit englischen Importhunden - mit einem unguten Gefühl zumeist, aber doch notgedrungen. Der Zuchtanteil der englischen Importrüden war gewaltig. In den insgesamt 11 Jahren von 1969 bis einschließlich 1979 stieg der Prozentsatz derjenigen Würfe, die einen aus England importierten Rüden zum Vater hatten, von ca. 47% in der ersten Hälfte auf 65% in den Jahren 76/77 und weiter auf 77% in den Jahren 78/79. Gab es in den Jahren 69 bis 71 erst zwei Rüden (Pitman's Pride und Dahrel Painted Warrior), die mehr als 10 mal deckten, so waren es bis zur Mitte der 70er Jahre schon einige, die weit öfter zum Einsatz kamen - Abraxas Adrian 18 mal und Hollyfir's Balthasar sogar 20 mal. Das alles aber ist nichts im Vergleich zu den Spitzenreitern der letzten 70er und der ersten 80er Jahre. Jobrulu Anthyllis deckte wohl 120 mal, und sowohl Brobar Backchat wie Abraxas MC Dayd stehen mit über 50 bzw. 40 Deckakten in vielen Ahnentafeln. 
Nun ergibt ein solch massiver Einsatz weniger Rüden zwar einen höheren Gesamt-Inzuchtkoeffizienten einer Rasse, aber alles ist noch tolerierbar, wenn diese Rüden wenigstens nichts Schlechtes im Wesen mitbringen. Gerade das wurde aber nicht überprüft, sondern dem Zufall überlassen. Nicht bei allen Rüden kann man heute mit Sicherheit Aussagen zu diesem Punkt treffen, bei einigen allerdings schon. Venture Hard Lad ("harter Bursche") of Curraneye z. B. war nach der Aussage der Besitzerin "kein Held"; er deckte ca. 15 mal, denn er war immerhin Weltsieger geworden. Abraxas Adrian (18 Deckakte) brachte meines Wissens auch nicht einen Hund, der sich wirklich durch Wesen und Kampftrieb auszeichnete. Maerdy Mellor (14 Deckakte) brachte zwar Hunde mit viel Aggression, aber schwachen Nerven. Gamegard's Cerebos (15 x) war zwar ein Raufer par excelence, aber selbst ein Fachmann, bei dem er zuerst stand, konnte ihn nicht zum Beißen auf dem Platz bewegen. Von Pioneer of Hollyfir, der bis in die Mitte der 80er Jahre deckte, kennen wir eine Menge Nachwuchs, denen er seine Substanz und seine Schwergewichtigkeit vererbte, aber Kampftrieb und Belastbarkeit kamen wohl nur selten vor.
Top-Star Jubrulu Anthyllis war schußscheu. In seinem Nachwuchs gab es immerhin einige Hunde mit Pfeffer, allerdings dann meist von sehr niedriger Reizschwelle und wenig nervlicher Belastbarkeit. Der absolute Tiefpunkt war allerdings Abraxas Mc Dayd, ein feiger Bullterrier, was auch immer seine Besitzer dagegen vorbringen. Diesen Hund habe ich selber überprüft. Aus 40 Deckakten sind uns nicht eine Handvoll Nachwuchstiere bekannt, die auch nur einigermaßen akzeptabel sind.
Eine Ausnahme bilden wohl Hollyfir's Balthasar, der eine Menge sehr nerven- und kampftriebstarken Nachwuchs hatte, und Brobar Backchat, der mit wesensfesten Hündinnen sehr guten Nachwuchs, meist mit hoher Reizschwelle, brachte, wenn er wegen seines guten Exterieurs auch oft mit Hündinnen aus dem Lager der Schönheitszüchter eingesetzt wurde, aus denen dann der zu erwartende Nachwuchs entstand. Backchat legte selbst SchH III, LawH I und FH ab, was keinem vergleichbaren Rüden je gelang.
Wenn man bedenkt, was ein Rüde mit z. B. 120 Deckakten eines Anthyllis in der Zucht an Unheil anrichten kann, dann wird einem schwarz vor Augen. Diese Rüden durften ohne die geringste Überprüfung auf Gesundheit und Wesen so oft decken, wie sie, bzw. ihre Besitzer wollten. Immerhin waren sie ja Welt-, Europa- oder Bundessieger, meist alles zusammen.
Merkwürdig war bei all dieser Importpolitik, daß es in Deutschland partout nicht gelingen wollte, Linien aufzubauen, die in puncto Schönheit den Engländern Paroli bieten konnten. Nach einer, höchstens zwei Generationen, waren die emsigen Englandhörigen wieder hinter die großen Lehrmeister zurückgefallen und mußten wieder die neuesten Spitzenrüden oder zumindest Welpen aus Spitzenwürfen einführen. Einer der Vorreiter dieser Bewegung tat das 6 mal, immer mit dem gleichen Ergebnis. Dabei mußte er besonders am Anfang viel Lehrgeld zahlen. Einer seiner ersten Importe, Pitman's Price, war in Sachen Schönheit ein ziemlicher Flop und erregte allseits Heiterkeit im Lager der Schönheitszüchter. Wie es der Teufel wollte, war just dieser Rüde recht gut im Wesen, obwohl der Importeur ihn sicher nicht deswegen eingeführt hatte. Schade, daß ein solcher Irrtum nicht öfter vorkam.
Die Zuspitzung auf wenige Rüden, die über alle Maßen häufig eingesetzt wurden, hält im Schönheitslager bis heute an. Heute sind es die Rüden Thomas Steadfast of Hadra und Silver Convention mit ihrem unmittelbaren Nachwuchs, die wie der mit ihnen verwandte Jobrulu Anthyllis kräftig helfen, daß der Inzuchtkoeffizient nicht etwa wieder auf gesunde Werte fällt. Double Dutch ist zwar mit ihnen weniger verwandt, ist aber selbst hochgradig ingezüchtet. Sein Besitzer veröffentlicht immer nur die ersten drei Generationen - da merkt man das nicht gleich. Würde er die vierte und die fünfte auch noch veröffentlichen, würde es offensichtlich, wie hoch ingezüchtet auch dieser Rüde ist. Bei vielen dieser Hunde ist bereits ein Inzuchtkoeffizient von 20% und mehr erreicht. Was das für die genetische Fitness bedeutet, welche Krankheiten sich da einstellen, das hat Prof. Schleger ausführlich in seinem Artikel in unserem vorhergehenden Zuchtbuch (Bd. I) aufgeführt.
Um der Wahrheit die Ehre zu geben, dürfen wir nicht unerwähnt lassen, daß zumindest in der Anfangszeit dieser oben besprochenen Periode Hunde aus deutscher Zucht ebenfalls teilweise sehr stark eingesetzt wurden. Das trifft z. B. auf Axel von der Kibitzheide und auf Bully und Bero vom Brennehof zu, auch auf Atist Hexenkessel Dennoch sind auch das nur Ausnahmen, die die Regel bestätigen; denn bereits ihre Nachkommen in der ersten Generation wurden nicht mehr zur Zucht verwendet und gingen so verloren. Heute gibt es sehr wenige Ahnentafeln, die in der 4. oder 5. Generation noch einen dieser alten Kämpen verzeichnet - schade, denn sie waren noch Hunde vom alten Schrot und Korn.
 
 
Neue Zuchtziele
 
Es ist klar, daß reine Schönheitszucht ohne die geringste Beachtung des Wesens und der alten Bullterrier-Werte, dazu noch in sehr engen Linien, für uns nicht erstrebenswert war. Wir stehen mit unseren Ideen auf einem anderen Standpunkt. Wir wollen Bullterrier nach den Prinzipien Gesundheit, Wesen, Leistungsfähigkeit und erst dann Schönheit züchten. Wir verzichten bewußt auf das übertriebene Downface, wenn wir dafür mehr Gesundheit und Wesensfestigkeit bekommen. Wir haben Prioritäten gesetzt. - So weit so gut ! Aber wie steht es bei uns mit der Inzuchtbelastung, der engen Linienführung, der geringen Population ? Um es vorweg zu nehmen - auch nicht besser als bei den anderen ! Warum ?
Nach der oben geschilderten systematischen Zerstörung der alten deutschen Linien begannen wir Mitte der 70er Jahre mit einer wahren Sisyphusarbeit - wir pickten die wenigen wesensmäßig brauchbaren Hunde aus den damals vorhandenen Linien heraus und begannen mit ihnen zu züchten. Da das alles Engländer waren, mußten wir die Nachzucht immer wieder sehr kritisch selektieren. Ganz selten einmal fanden wir noch ein "Überbleibsel" aus alten deutschen Linien, das wir natürlich einbauten, wenn Wesen, Kampftrieb und Gesundheit passten. Brobar Backchat, Abraxas Astronomist und Uri Alemannentrutz waren alles Engländer oder direkte Nachkommen von Importrüden; Anabel Wolfsgrube, Ben Kalkofen und Eika Drachenfels sind Beispiele für Hunde mit altem deutschen Blut. Natürlich gab es dabei Rückschläge, natürlich tauchten immer wieder "fade englische Milchsuppen" auf. Was noch viel schlimmer war, wir mußten damals immer wieder Kompromisse bezüglich der Schönheit machen, denn wenn die Zuchtprodukte nicht wenigstens die beiden obligatorischen "Sehr gut" auf den Ausstellungen schafften, war alles umsonst. Denn die Englandhörigen hatten damals zu Beginn der leistungs- und wesensorientierten Zucht immer noch das Sagen, sie bestimmten die Richtung.
Seit Gründung des BV im Jahre 1987 züchten wir nun in einem eigenen Club nach unseren eigenen Vorstellungen ohne Kompromisse an Zuchtziele, die wir uns nie zu eigen gemacht hatten. Wir haben Erfolg, es geht aufwärts, die Hunde werden zusehends besser in Wesen und Gesundheit. Da wir aber zur möglichst schnellen Erreichung unserer Zuchtziele scharf selektieren müssen, ergibt sich wieder das alte Dilemma - die Basis, und sei sie auch in Wesen und Gesundheit sehr gut, ist sehr klein. Immer wieder kommt einem beim Nachdenken über die Zuchtsituation der Gedanke an die alten deutschen und österreichischen Linien. Wenn man die noch zur Verfügung hätte...... !
Auch hier kann uns ein Blick in's Zuchtbuch, diesmal in unser eigenes, helfen, die Situation besser zu verstehen. Der erste Band umfaßt die Zuchtvorgänge der ersten 1 1/2 Jahre und verzeichnet 33 Würfe, von denen 19 nur auf 3 Rüden zurückgehen. Etliche Würfe wiesen einen Inzuchtkoeffizienten von über 10% auf, also weit über der kritischen Marke von 6%. Zwar ist der Gesamtinzuchtkoeffizient mit 4,91% noch im sicheren Bereich, aber es ist knapp, die Basis müßte viel breiter sein.
Gelegentlich auftretende Hunde, bei denen ein bekannt guter Vorfahr aus den alten Linien in der 4. oder 5. Generation unter vielen Engländern vorkam, nutzen uns auch nicht viel, denn die genetische Durchschlagkraft eines solchen fernen Ahnen ist äußerst gering.
Da wir aber auf das alte deutsche Blut nicht mehr zurückgreifen können und bei der Schönheitszucht mit Recht bei Anleihen vorsichtig sein müssen, bleibt nur eine Möglichkeit: wir müssen danach streben, Fremdblut von auswärts zu bekommen. Selbstverständlich müssen diese Hunde mit Fremdblut unseren Kriterien in puncto Wesen und Kampftrieb erfüllen, denn sonst würden wir mühsam Selektiertes wieder einkreuzen und könnten von vorne anfangen.
Die Suche begann. Zunächst wandten wir uns nach Österreich, dem Land, aus dem lange die guten Bullys kamen, das Land des Prof. Hauck. Aber auch Hauck ist offenbar schon seit Jahrhunderten tot, von seinem Einfluß spürt man nichts mehr. Er würde sich wahrscheinlich im Grabe umdrehen, wenn er wüßte, was da vorgeht. Der BT ist zum Schickeria-Hund geworden, zum Hund für Snobs und Exzentriker. Frau Fernsehansagerin A hat einen BT, ebenso Graf B - und sie sind alle so lieb ! Verrückte Bullterrierwelt, in der es nicht mehr um Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Rasse geht, sondern um die Frage, welcher Pfeifentabak und welcher Tweed des Besitzers am besten mit dem Bullterrier harmoniert. Interviews am Kamin, strotzend vor österreichischem Oberschmäh und britischer Nonchalance, werden für Arbeit an der Rasse gehalten, Bla bla und Geschwafel machen Rasse und Eigentümer zu lachhaften Obertrotteln - Bullterrier, wie weit bist Du in Deiner ersten Heimat auf dem Kontinent gesunken !
 
 
Auf der Suche 
 
Wenn wirklich noch Leute in Österreich vorhanden sind, die den Bullterrier anders sehen, dann spielen sie zumindest keine Rolle, wenn sie sich nicht längst anderen Rassen zugewandt haben. Lediglich im Raum Linz gibt es eine kleine Gruppe ohne engen internen Zusammenhang, die vom Bully mehr verlangen, als auf dem Sofa herumzurutschen und ein apartes Dekor bei der sonntäglichen Promenade abzugeben. Die haben alle Hunde aus unserer Zucht.
In Österreich ist also nichts mehr zu holen. In allen anderen westlichen Ländern ist die Situartion wie in Deutschland, wenn überhaupt nennenswerte Populationen vorhanden sind. Das ist in Holland und Belgien und vielleicht noch in der Schweiz der Fall. Zumindest in Holland gibt es gibt es auch noch genug Hundeliebhaber, die einem wehrhaften, kampftriebstarken Hund zuneigen. Aber da steht gewichtig der Herr Bouma dagegen, der die holländische Bullterrierszene absolut beherrscht und sich mit Erfolg und Nachdruck jeder Art von Ausbildung und Arbeit entgegenstellt. Wieviel Kenntnis er trotz jahrzehntelanger Erfahrung mit Bullterriern von ausgebildeten Hunden wirklich hat, mag folgende Episode erläutern.
Herr Bouma war einer der ersten, die mit einer Hündin zu meinem damaligen England-Importrüden Brobar Backchat zum Decken kamen. Nach dem Deckakt, der sich in den Zwingeranlagen in den Würzburger Weinbergen abspielte, zeigte ich Herrn und Frau Bouma meine anderen Hunde. Dabei öffnete ich die Zwinger zweier Rüden, die ich als SchH III-Hunde vorgestellt hatte, damit sie auf dem weitläufigen Grundstück etwas herumlaufen konnten. Ich traute meinen Augen nicht, als beide Boumas sich ängstlich aneinander drücktenund ganz offensichtlich erwarteten, jetzt angefallen zu werden, was natürlich nicht geschah. Selbstverständlich dachten unsere Hunde nicht daran, denn sie waren von bestem Wesen und keineswegs unfreundlich gegenüber Menschen. Ich erklärte das meinen Besuchern, aber es war offensichtlich, daß sie nichts verstanden. Man kann mit einer solchen Demonstration, und sei sie auch noch so deutlich, keinen überzeugen, der seit Jahrzehnten der Ansicht ist, auf den Ausbildungsplätzen würden die Bullys nur zu reißenden, blutgierigen Bestien gemacht. Ähnliche Versuche mit englischen Richtern und Bullterrierzüchtern scheiterten ebenfalls. Vorurteile sind fast nicht auszurotten.
In Holland, von Bouma dieserart geblockt, hatten sich alle längst dem Stafford Bullterrier und dem Pit Bull zugewandt, mit dem ja auch - wie bekannt - ernsthaft Hundekämpfe á la Amerika ausgeführt werden. Gute Bullys gab es schon lange nicht mehr.
Als nächstes versuchten wir es im Ostblock, damals noch hermetisch abgeschlossen gegenüber dem Westen, auch auf kynologischem Gebiet. Das Hundewesen der DDR, der FCI nicht ausgeschlossen, war dem VDH sozusagen gleichgestellt, indem Ahnentafeln der DDR bei uns anerkannt waren und in unsere Zuchtbücher übernommen werden konnten, wie auch umgekehrt. Die ČSSR dagegen gehörte wie Ungarn, Polen und Jugoslawien der FCI an. In Sachen Bullterrier vegetierten diese Länder noch ohne Downface und Roman finish dahin, der englische Segen war ihnen noch nicht zuteil geworden - so dachten wir wenigstens.
Umso überraschter waren wir, als wir feststellten, daß der Osten gar nicht so "rückständig" war. Unsere deutschen Brüder und Schwestern sind ja bekannterweise nicht nur in Sachen Industrie und Lebensstandard im Osten die Fortgeschrittensten - sie sind es ganz offensichtlich auch in Sachen Downface. Dazu verhalfen ihnen Importe aus dem Westen wie Impuls Alemannentrutz, einem Sohn des bekannt feigen Abraxas McDayd. In der DDR wurde damals noch alles zentralistisch verwaltet, auch die Kynologie. Die Hundezüchter, die zum Verband der Kleingärtner und Kleintierzüchter gehören, dürfen nicht etwa frei einen Deckrüden wählen; jede züchterische Tätigkeit muß von oben abgesegnet sein, jeder Deckakt muß vorher genehmigt sein. Und zu geschehen hat das, was die Partei in Sachen Hundezucht vorschreibt - Annäherung an den westlichen Standard. Und worin besteht dieser westliche Standard in der Hundezucht ? In Downface, Ausfüllung und Roman finish. Wesen, Kampftrieb, Gesundheit ? Nee, is nich, wa ! Der Bullterrier gehört in der DDR weder zu den Diensthunden noch zu den Jagdhunden, und das wäre das einzige gewesen, was ihn vor seinem augenscheinlichen Schicksal in der DDR hätte bewahren können. In der DDR waren die Pleitegeier der Bullterrierzucht schon lange vor uns dagewesen, und hatten ihre Eier abgelegt - alles ist verseucht mit Impuls und Rasputin Alemannentrutz sowie mit Curraneye Fortunatas, einem Englandimport, der in Polen steht und im ganzen Ostblock sehr viel deckt. - Vergessen wir also die DDR.
Als einziges Land im Ostblock neben der DDR mit einer größeren Bullterrierpopulation und einer gewissen Tradition in der Zucht dieser Rasse gibt es nur noch die ČSSR. Die Kynologie ist in der ČSSR dreigeteilt: die Dienst- und Gebrauchshunde unterstehen dem Militär, alle Jagdhunde dem Jagdgebrauchshundeverband und alle anderen sind in einer Gruppe der Begleit- und Gesellschaftshunde zusammengefaßt. Der Bullterrier zählt, man höre und staune, zu den Jagdhunden. Im Landesteil Slowakei dürfen Jagdhunde, also auch Bullterrier, nur von aktiven Jägern gezüchtet werden.  Der Bullterrier darf und soll Prüfungen machen, wird sehr häufig an Sauen eingesetzt und von Richtern bewertet und geprüft, die dem Jagdverband angehören. Und die tschechische Jagd, die Jäger, die Ausbildung der Jagdhunde und die Abwicklung der Prüfungen sind vom falsch verstandenen sentimentalen Tierschutzgedanken westlicher Prägung noch nicht angekränkelt. Der Hund muß zunächst einmal etwas leisten, und dazu muß er gesund sein. Ist er nicht gesund, und kann deshalb nichts leisten, fällt er aus der Zucht. Für Terrier gibt es eine Prüfung am Schwarzwild, die beim Bully zur Waldjagdprüfung gehört; dabei muß der Hund in einem Gatter von mehreren Hektar Sauen finden und festmachen.
Jagdterrier werden selbstverständlich am Raubwild am offenen Schieber geprüft, denn nur so lassen sich lautstarke Blender von Hunden mit echtem Kampftrieb unterscheiden. Auch an der Katze wird hier noch ohne Verrenkungen und Lügen geprüft - ein Jagdhund muß sicher und schnell würgen, sonst ist er für den Einsatz als Jagdhund nicht geeignet.
 
 
In der Tschechoslowakei
 
So rauh sind dort die Bräuche, verglichen mit der Situation bei uns. Den deutschen Jägern sitzt bei einer sinnvollen und praxisbezogenen Jagdhundeausbildung ununterbrochen der Tierschutz im Nacken, der sich hier besonders verstärkt tummelt, weil er gegen die große Lobby der Massentierhalter und Laboratorienverheizer nicht anstinken kann. Bei uns kann man Bullterrier nur selten jagdlich einsetzen, denn unsere hochsensiblen Jäger lehnen Saujagd àla ČSSR ab - ein Großteil von ihnen würde sich beim Abfangen der vom Bullterrier fixierten Sau mit dem Waidblatt auch höchstwahrscheinlich in den Fuß stechen, wenn sie nicht schon die Hosen gestrichen voll haben.
Nun könnte diese Schilderung der Lage des Bullterriers in der ČSSR beim geneigten Leser vielleicht einen zu rosigen Hoffnungsschimmer erwecken. Leider befindet sich die ČSSR bereits tief in einem Änderungsprozeß.
Viele Bullterrierbesitzer und -züchter sind keine Jäger mehr, orientieren sich wie die Zuchtleiterin der Rasse, Frau Votavova, eindeutig nach Westen, d. h. nach England, sind wie ihre fortgeschrittenen Kollegen in der DDR nur noch an Downface und Roman finish interessiert. Auf Gesundheit wird deshalb auch schon weniger geachtet, ebenso wie auf das Wesen. Dennoch assoziiert der Tscheche, auch, wenn er von anderen Rassen herkommt, den Bullterrier mit der Saujagd. Als Rasse zählt der Bullterrier zu den bekannteren, ist auch keineswegs selten und wird zumindest gelegentlich auch als Schutzhund geführt. Damit hat die ČSSR insgesamt ein ziemliches Reservoir an Bullterriern, die im Gegensatz zur DDR auch etwas leichter zu exportieren sind. Hier könnten wir vielleicht - so unsere Überlegung - fündig werden.
Die ersten Kontakte zur ČSSR hatte ich bereits vor Jahren mit meinen Reportagen über die tschechische Form der Saujagd mit dem Bullterrier und dem Waidblatt geknüpft (vgl. die Passagen über Saujagd im Info-Buch unseres Vereins). Die Erneuerung dieser Kontakte geschah unerwarteterweise über die zweite Rasse, die ich züchte - den Mastín Español. Als mich die Tschechen wegen dieser Rasse ansprachen, ergab sich, daß sie nicht genug Westgeld hatten, um sie zu bezahlen. Sie schlugen Tauschgeschäfte vor, wie sie ja auch in der Wirtschaft bei Ost-West-Geschäften üblich sind. Wir willigten grundsätzlich ein und erklärten, was wir suchten: gesunde, kräftige, wesensstarke Bullterrier aus rein tschechischen oder alten österreichischen Linien ohne englische oder deutsche Einkreuzungen, ohne P-4-Fehler und ohne Patella Luxation. Downface und englische Köpfe waren uns unbedeutend. Die Tschechen verstanden das erste nur halb (sie meinten zuerst, wir suchten vielleicht Bullterrier für Hundekämpfe), das letztere gar nicht. Kein Downface ? Aber die Hauptzuchtwartin hatte  ihnen doch schon seit 10 Jahren "klabonos" (Downface) als das erste Zuchtziel gepredigt ? ! So boten sie uns einen Brubaker-Sohn an, klein, dick, feige aber mit Downface. Wir lehnten dankend ab und erklärten, daß wir so etwas (leider) in Deutschland zu Dutzenden herumstehen hätten. Erst viel später wurde den Tschechen klar, was wir wollten.
Zunächst einmal hatten wir typisches Anfängerglück - wir bekamen Atos z Údolí Sítná genannt Ferda, von Petr Mokros aus der Gegend nördlich von Pilsen. Ferda war damals vier Jahre alt, ein riesiger Klotz von einem gestromten, hinten leicht faßbeinigen Rüden, der außer Saujagd nicht viel mehr gemacht hatte, als seinen Besitzer auf alle möglichen Sauf- und sonstigen Touren zu begleiten. Ein prächtiger Hund vom Äußeren und vom Wesen, der bis zu unserer Überprüfung im Februar 1989 Schutzärmel und Stock noch nie gekannt hatte. Überhaupt hatte Ferda noch nie einen bösen Menschen kennengelernt, er war mit jedermann gut Freund. So dauerte es ein bißchen, bis er wußte, was man da jetzt von ihm verlangte.
Dann aber kam er - für einen rohen Hund unvorstellbar. Er zeigte sofort einen vollen Griff und machte sogar schon eine Flucht über ca. 25 m, war absolut stockfest und sehr belastbar. Wir waren erstaunt und nahmen ihn sofort mit. Heute ist Ferda Clubsieger des BV 1989, sozusagen der "Hund des Jahres". Er hatte bereits in der ČSSR über ein Dutzend mal gedeckt, eine Zahl, die er auch bei uns erreicht hat. Sein Nachwuchs ist bereits auf den Plätzen, zeigt sich großartig und wird sicher noch von sich reden machen. Er ist bis auf einen P 1 vollzahnig, beißt eine sichere Schere, hat eine Patella, um deren Festigkeit alle anderen ihn beneiden können, und zeigt eine derart verblüffende Ausdauer bei der Arbeit und beim Laufen am Fahrrad, daß er rein physisch alles in den Schatten stellt. Obwohl eindeutig vom Bulldogtyp und mit austrainierten 34 kg wahrlich kein Windhund, trabt er die 20 km-Ausdauerstrecke schneller, als andere sie galoppieren können.
Nach dem Anfängerglück kam lange garnichts. Immer wieder fuhren wir rüber, insgesamt 1989 ein Dutzend mal. Nichts ging mehr - entweder war es die Patella, oder mangelnder Kampftrieb, oder die Zähne, oder der Hund war zu alt, zu klein, zu englisch oder deutsch in der Ahnentafel. Zwei mittelmäßige Hündinnen waren monatelang die einzige Ausbeute unserer Bemühungen, die eine starb dann nach dem Wurf, die andere konnte sich nicht überzeugend für die ZTP qualifizieren. Seit diesen Dürremonaten wissen wir, daß es keineswegs leicht ist, in der ČSSR brauchbare Bullterrier zu finden. Viele wollten ja, nachdem sie Ferda gesehen hatten, einfach mal so in die ČSSR fahren, um sich dort einen Ferda zu kaufen. Wenn das so leicht wäre ! Zwischenzeitlich suchten bis zu vier tschechische Parteien für uns im ganzen Land Bullterrier, die sich bei näherem Hinsehen als nicht tauglich erwiesen.
Doch dann hatten wir gegen Ende des Jahres doch noch Glück. Da war zunächst die rote Hündin Ambra, von der anfangs keiner etwas hielt. Nach einem Wurf war sie schon rein körperlich in mieser Verfassung.
Unsere Meinung änderte sich schlagartig, als wir die Hündin das erste Mal mit auf den Platz nahmen. Arm und Stock interessierten sie nicht, bis der Figurant Front gegen sie machte, sie bedrohte und mit dem Stock nach ihr schlug. Schwupps gingen die Ohren hoch, der Körper straffte sich, und sie ging los - aber wie ! Sie biß bereits beim ersten Mal voll und tief, ging mit vollem Einsatz nach vorne und hämmerte in den Arm, daß alle sich die Augen rieben. Ohne weitere Vorbereitung bestand sie am nächsten Tag die ZTP und trat dann im Spätjahr noch zweimal in der Clubsiegerausscheidung an. Nach ihrem ersten Wurf ist sie jetzt in Ausbildung und hat bereits SchH I abgelegt. Ambra ist jetzt gerade erst drei Jahre alt. Sie ist ein kräftiger Terriertyp mit sehr ansprechendem Schädel, bis auf einen P 1 vollzahnig und fast ausschließlich tschechisch und (alt-) österreichisch gezogen.
Dann war da Ciba, fast sechsjährig, die wir mehr aus Mitleid mitnahmen. Zutraulich, sehr temperamentvoll, von bestem Wesen, freundlich. Über Gesundheit und Kampftrieb wußten wir nichts. Zunächst einmal stellte sich heraus, daß sie gesundheitlich in Ordnung war; obwohl sechs Jahre alt, bestand sie den GT mit links. Dann nahmen wir sie einmal mit auf die grüne Wiese, um zu sehen, was sie für eine Meinung über den Figuranten hatte. Die zweite Ambra - ohne Aufbau, ohne Säckchen, Beißwurst oder Junghundärmel ging sie sofort voll. Wir waren begeistert von dem Streitroß, dem man seine sechs Jahre übrigens nicht ansieht. Am nächsten Wochenende bestand sie die ZTP mit Glanz und Gloria. Schade, daß sie schon sechs ist .....  
Aber was sind alle diese jungen Hüpfer gegen Lenko z Kinzaku mit fast neun Jahren. Lenko ist schwarz mit weißen Abzeichen, ein kräftiger Terriertyp mit hervorragendem Körper, aber sehr altem Kopf. Lenko kommt aus der Slowakei, sein Besitzer ist Jäger. Mit Lenko hatte er seine besten Erfolge an Sauen; außer dem legendären Scheitan von Anderle ist Lenko der einzige Bullterrier, von dem wir verbürgt wissen, daß er auch am Luchs erfolgreich war. Er griff und hielt einen ausgewachsenen Kuder mit Kopfgriff so lange, bis sein Besitzer im steilen Gelände und dichtem Zeug heran war und den Luchs abtun konnte. Der Kuder erhielt eine Silbermedaille und wurde mit 24 kg gewogen. Von einer der vielen Sauen, die Lenko für seinen Herrn und Meister hielt, wurde er am Auge geschlagen; das Jochbein wurde durchbrochen, das Auge ist blind. Am ganzen Körper und auch in den Weichteilen ist Lenko unzählige Male geschlagen worden. Alle möglichen Körperteile und Muskeln wurden genäht und wieder zusammengeflickt. Dennoch ist Lenko ungebrochen, aufgeweckt und temperamentvoll wie ein Fünfjähriger. Er hat sich sehr gut eingewöhnt, ist der erste, der bellt, wenn ein Fremder kommt, und hat sich ganz besonders an mich angeschlossen.
Wie wir ihn bekamen? Nun, zunächst hatten wir Ambra von ihm decken lassen, nachdem wir ihn das erste Mal gesehen hatten. Ambra hatte in der Zwischenzeit einen 5er-Wurf nach ihm. Der Rüde deckt ausgezeichnet und hatte auch in der ČSSR in den letzten Monaten noch mehrere Würfe. Er sollte erschossen werden, denn ab dem 9. Lebensjahr darf er nach den Regeln der ČSSR nicht mehr decken. Warum das so ist? Ich weiß es nicht! Warum einer seinen Hund erschießt, mit dem er die größten Erfolge als Jäger hatte? Ich weiß es nicht! Bei uns genießen auch die alten "ausgedienten" Hunde ihren Lebensabend, auch wenn man mit ihnen keine Schau mehr machen kann und sie nicht mehr so vorzeigbar sind wie früher. Also kann Lenko bei uns bleiben.
Den GT machte er übrigens mit links, alles war in Ordnung. Wir probierten auch einmal den Schutzdienst. Wieder dasselbe Ergebnis. Der Hund kannte keinen Schutzdienst und keinen Ärmel. Wie die anderen drei verstand er sofort, um was es ging, als der erste Schlag ihn am Vorderlauf traf. Er griff sofort zu, zeigte einen vollen Biß, einen starken Drang zum Helfer, Härte und Belastbarkeit. Dabei gilt es zu bedenken, daß 8 1/2 Jahre härtester Arbeit ohne viel Pflege sicher 12 oder 15 Jahre behütetem und gepflegtem Bullterrierleben bei uns entsprechen.
Alle vier ČSSR-Importe sind untereinander so wenig verwandt, daß man auch rein tschechisch mit ihnen weiterzüchten könnte. Dennoch ist natürlich ihre Hauptaufgabe, frisches Blut in unsere Linien zu bringen. Alle vier sind totale Outcrosses, allerhöchstens in der 5. und 6. Generation ergeben sich Übereinstimmungen bei gemeinsamen englischen Ahnen, die auch die Tschechen irgendwo in grauer Vorzeit einmal hatten. Alle Importhunde entsprechen in Gesundheit, Wesen und Kampftrieb unseren Vorstellungen. Häufig gehen sie auf sehr alte österreichische Linien zurück, die in Österreich selbst längst nicht mehr existieren.
Sehr häufig wurde uns angeboten, doch Welpen aus der ČSSR zu importieren, was ja auch preismäßig sehr verlockend wäre, denn Welpen werden in der ČSSR für 200,- DM erwachsene Hunde um 400,- DM herum angeboten. Wir lehnten diese Geschäfte ab. Die Wahrscheinlichkeit, unter solcherart importierten Hunden einmal eine Perle zu finden, ist äußerst gering. Und welche Schwierigkeiten wir hatten, unter erwachsenen Hunden etwas Gutes zu finden, habe ich oben geschildert. Nur durch engsten Kontakt mit verläßlichen tschechischen Freunden, durch sorgfältiges Durchsieben der gesamten Population auf vielen, vielen Reisen, durch sehr viel Kenntnisse und ein gutes Auge, dazu noch einen geschulten Griff zur Erkennung der Patella Luxation - und dann nur mit sehr viel Glück kann man hier zum Erfolg kommen
Die Tatsache, daß die in der ČSSR gezüchteten Bullterrier FCI-Papiere besitzen und bei uns übernommen werden müssen, weiter die Tatsache der dort wesentlich niedrigeren Preise hat einige besonders pfiffige Hundehändler dazu bewogen, ganze Würfe aller möglichen Rassen in der ČSSR billigst aufzukaufen, um sie hier in Deutschland mit "anerkannten Papieren" auf den Markt zu bringen. Ein solcher Bullywelpe kostet vielleicht 1000,-, und der Importeur verdient sich dumm und dämlich. Die Tatsache, daß ein Bullterrier aus der ČSSR kommt, ist für sich allein noch kein Gütesiegel, das möchte ich noch einmal in aller Deutlichkeit klar sagen. Wir müssen so einen Hund auf Verlangen in unser Zuchtbuch übernehmen; damit ist er aber noch lange nicht für die Zucht zugelassen. Bei unseren sehr harten Zuchtzulassungsbestimmungen ist uns vor solchen grauen Importen nicht bange. Bei uns kommt nur Qualität in die Zucht.
Die neuesten politischen Entwicklungen sehen wir vom kynologischen Standpunkt aus mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Nach Öffnung der Grenzen der jetzt ČSFR genannten Tschechoslowakei und den lange notwendigen Reiseerleichterungen für beide Seiten wird es sicher auch auf kynologischem Gebiet mehr Austausch geben. Aber was werden die Tschechen wohl importieren? Bei dem Heißhunger auf alles Westliche wird sicherlich zunächst einmal viel Downface importiert. Es werden sich dieselben Fehler wiederholen, wie wir sie in Deutschland sahen. "So schlimm im Wesen werden die Engländer schon nicht sein", wird man sich selber beschwichtigen; denn alles, was aus dem Westen kommt, ist gut und beste Qualität. Jetzt wo es möglich ist, werden sie drüben importieren, was geht. Erst wenn der Heißhunger später vorüber ist, werden sie aufwachen und (vielleicht) sehen, was da in's Land gekommen ist, werden sich auf die Qualität der eigenen Bullterrier zurückbesinnen. Hoffentlich ist es dann nicht zu spät !
 
 
Züchterischer Einsatz der Importe 
 
Wir müssen aus den oben dargelegten Gründen davon ausgehen, daß sich die Zucht des Bullterriers in der CSFR immer weiter in Richtung Schönheit entwickelt. Deshalb würde es sich empfehlen, eine rein tschechische Linie bei uns aufzubauen, um auch später die Möglichkeit eines gelegentlichen Outcrosses zu haben. Natürlich sind die jetzt vorhandenen wenigen Hunde noch nicht genug für diesen Zweck. Wir kennen aber mittlerweile auch noch einige geeignete Deckrüden in der ČSFR, die man hier einplanen könnte. Meistens sind das tschechische Hunde, die nicht verkäuflich sind.
Die Hauptsache ist aber im Augenblick, die tschechischen Importe gezielt in unsere Linien einzukreuzen. Welpen aus diesen outcross-Verbindungen zu behalten und mit den besten davon weiterzuzüchten. Wir sind sicher, daß dadurch der Gesamt-Inzuchtkoeffzient im Verein deutlich gesenkt werden kann; der bisherige Aufbau der Zucht auf einigen wenigen, wenn auch sehr qualifizierten Rüden war einfach zu eng. Sie können dann wieder für die Nachkommen der outcross-Verbindungen verwendet werden. Noch ist unser Engagement in der ČSFR nicht abgebrochen, noch besteht die Hoffnung, den einen oder anderen Rüden zu bekommen. Wir werden weiter am Ball bleiben und versuchen unser Möglichstes - unsere Zucht braucht diese Arbeit.
 
 
Künftige Möglichkeiten 
 
Sobald unsere ČSFR-Quelle versiegt ist, werden wir weitersuchen. Wir vermuten in Südafrika und in Irland noch weitere gute Hunde. Zwar gehören beide Länder in den Bannkreis Englands, und sicher ist die dortige offizielle Kynologie ganz nach London ausgerichtet. Wir wollen uns aber gar nicht so sehr an die offizielle Kynologie halten.
Irland hat in der Vergangenheit immer wieder gute Arbeitsterrier herausgebracht, Wales übrigens auch. Dies sicherlich deshalb, weil kampftriebstarke Hunde, die richtig rangehen, der irischen Mentalität entsprechen. Ich denke dabei nur an den Kerry Blue, den Glen of Imaal und den Irish Terrier. Sie alle mögen heute zum Teil schon zum Sofarutscher verkommen sein, aber vor nicht allzulanger Zeit war das noch anders. Stafford-Leute winken zwar ab, und meinen, das sei alles vorbei. Aber man kann es ja mal versuchen, abseits der englischen Hochzuchtlinien gesundheits- und wesensmäßig gute Bullterrier zu finden.
In Südafrika wurden und werden Bullterrier neben dem offiziellen Ausstellungsgeschehen in einer Funktion eingesetzt, sei es als Wachhunde gegen Marodeure und Gesindel, sei es in der sehr gefährlichen Jagd auf Paviane, Löwen und Kaffernbüffel, wo Bullterrier besonders auch in der Nachsuche eingesetzt werden. Dazu kommt die Tatsache, daß es in Südafrika mehr Bullterrier gibt, als in allen anderen Ländern der Erde zusammen. In diesem riesigen Reservoir sollte doch noch der eine oder andere gute Bully zu finden sein. Das alles ist sehr mühsam, aber am Ende doch sehr lohnend.
Eines ist sicher. Wenn wir in Zukunft nicht weiter darauf achten, daß die Basis der Zucht breit bleibt, rennen wir in die Sackgasse der Inzucht mit allen ihren anfangs aufgezählten Gefahren. Wir brauchen uns nur umzuschauen, um zu erkennen, was Inzucht aus einer Rasse machen kann. Der Mastino erlebte vor einigen Jahren einen solchen Boom, daß jeder diese Rasse züchten wollte. Aus Italien wurde importiert, was auch nur im entferntesten wie ein Mastino aussah. Bruder, Schwester, Vater, Mutter? Egal, Hauptsache es kamen Welpen dabei heraus, die man sehr gut verkaufen konnte. Was aus der Rasse wurde, war den meisten gleichgültig. Die Rasse hat heute außer der Bordeauxdogge die meisten Krankheiten und die geringste Lebenserwartung. Der Grund dafür? Geringe Anzahl an Hunden dieser Rasse, Inzucht, fehlende Selektion.
Das Gegenbeispiel ist der Presa Canario, eine fast unbekannte Rasse von den kanarischen Inseln. Die Rasse ist genetisch gesund, hat große Würfe, hohe Lebenserwartung, wenig erbliche Krankheiten, im Wesen meist sehr gut. Warum? Mit weit über 500 Exemplaren auf den Inseln vertreten, viele Einkreuzungen von verwandten Hunderassen, Selektion durch Hundekampf, harte Lebensbedingungen, die nur die Guten überleben ließen. Natürlich ist diese molossoide Rasse weniger einheitlich als der Mastino, natürlich können wir nicht länger mit Einkreuzungen oder gar Hundekampf weitermachen. Aber was ist wichtiger - einheitlicher Typ oder genetische Gesundheit?
Bitte verstehen Sie mich nicht miß - bei aller Betonung der Bedeutung von breiter Zuchtbasis und Fremdzucht heißt das nicht, daß man einen outcross um des outcross Willen vornehmen sollte. Selbstverständlich muß der als outcross verwendete Hund zuallererst im Wesen und in der Gesundheit die Eigenschaften haben, die wir suchen, und auf die wir selektiert haben.
Auf der Suche nach dem verlorenen Blut sind wir eigentlich nicht fündig geworden. Die durch fanatische Eiferer zerschlagenen alten deutschen Linien sind unwiederbringlich dahin. Eigentlich waren wir auf der Suche nach einem Ersatz für das verlorene Blut - und da waren wir wenigstens teilweise erfolgreich.
Arbeit an der Rasse - was ist das? Ausstellungen organisieren und besuchen? Feststellen, wer das beste Downface hat? Dazu Bullterrier wie lächerliche Kleinhunde pudern, kreiden, rasieren und "aufbauen"? Sie fett füttern, um Kraft und Substanz vorzutäuschen? Oder z.B. in mühsamer Sisyphusarbeit zu versuchen, zur Vergrößerung und Erweiterung der Zuchtbasis neues, gutes Zuchtmaterial zu finden? Wir im Bullterrier Verein wissen, was Arbeit an der Rasse bedeutet.
 
S.
 

[Rudolf Sewerin]

 


Anmerkung: Bitte bedenken Sie, daß dieser Beitrag aus dem Jahr 1989 stammt. Inzwischen ist viel passiert. Der BV erlebte in den Folgejahren eine Blütezeit, die viele herausragende, gesunde Bullterrier von bestem Wesen und Kampftrieb hervorbrachte. Bullterrier wie es sie wohl kaum je wieder geben wird. Dann kam der Niedergang des Vereins.


 

Brobar Backchat




Pitman's Pride





Lenko z Kinzaku




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